Ehemaliger Verfassungsgerichtspräsident diagnostiziert Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien durch das Gericht
23.09.2023 – Norbert Häring

Papiers Rede wurde von R21 auf Youtube veröffentlicht (ab min 1:30). Papier hielt auf der Veranstaltung “Deutschland zwischen Covid und Klima – Grundrechte unter Vorbehalt?” die Eröffnungsrede in der Panel-Diskussion zum Thema “Konsequenzen für unseren Rechtsstaat”.
Er attestierte dem Bundesverfassungsgericht, die Anforderungen des Rechtsstaats nicht immer erfüllt und nicht durchgesetzt zu haben. Es habe insbesondere keine Abwägung der Verhältnismäßigkeit unterschiedlich drastischer Grundrechtseinschränkungen vorgenommen und keine Maßstäbe hierfür entwickelt. Es habe dem Gesetzgeber nicht aufgegeben, die nötigen Informationen zu sammeln, um Maßnahmen evaluieren zu können. Er sagte wörtlich:
“Bei der Pandemiebekämpfung ein undifferenziertes, ein allgemeines und letztlich unbegrenztes Plazet für Freiheitseinschränkungen und Grundrechtssuspendierungen jeder Art und jeden Ausmaßes zu erteilen, wie das ja in der Praxis geschehen ist, entspricht jedenfalls nicht unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung.”
Eine derart scharfe Kritik von einem Bundesverfassungsgerichtspräsidenten an seinem Nachfolger und den Verfassungsrichtern dürfte beispiellos sein.
Mit auf dem Panel saßen neben Papier Juli Zeh, Jessica Hamed und Heribert Prantl.
Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist seit 2020 Stephan Harbarth, zuvor CDU-Politiker und Anwalt. Er wurde 2017 unter zumTeil fragwürdigen Umständen zum Fachzeitschriftenherausgeber und zum Honorarprofessor einer Universität, 2018 zum Verfassungsrichter und 2020 zum Präsidenten des Gerichts erkoren. Das hatte seinerzeit zu viel Kritik und Sorgen um die Bewahrung der Unabhängigkeit des Gerichts geführt. Diese Sorgen scheinen mehr als berechtigt gewesen zu sein.