EZB-Chefin Lagarde legt offen, wie sie mit dem digitalen Euro das Bargeld verdrängen will

EZB-Chefin Lagarde legt offen, wie sie mit dem digitalen Euro das Bargeld verdrängen will

11.11.2022 – Norbert Häring

11. 11. 2022 | Die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde und EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta haben auf einer Veranstaltung in Brüssel für Fachleute so deutlich wie bisher nie offengelegt, dass und wie der geplante digitale Euro die Verdrängung des Bargelds beschleunigen wird.

Die von der Europäischen Zentralbank (EZB) und EU-Kommission am 7. November gemeinsam abgehaltene Konferenz hieß „Digital Euro Conference: Towards al legislative framework for a digital euro“. Alle sprachen zwar viel von der Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte. Medienberichte über die Veranstaltung habe ich aber nicht gesehen und es war – abgesehen von den Moderatoren – auch keine Beteiligung von Pressevertretern erkennbar.

Die Konferenz ist auf Video öffentlich zugänglich. Im folgenden beziehen sich die angegebenen Zeiten auf die im Video angegebene Uhrzeit und korrespondieren mit dem Programm der Konferenz.

Netzwerkeffekte zulasten des Bargelds

Christine Lagarde erklärte (ab 9:41 Uhr) die Pläne der EZB, einen digitalen Euro zu entwickeln, vor allem damit, dass die Menschen immer weniger mit Bargeld bezahlten. Dadurch könnte das Bargeld als öffentliches Geld seine Ankerfunktion für das „hybride System“ aus von der EZB herausgegebenem öffentlichen Geld und dem privaten Geld der Geschäftsbanken verlieren.

Das zog sich durch die ganze Konferenz: der digitale Euro als Vorbereitung auf die Zeit, wenn Bargeld keine nennenswerte Rolle mehr spielt. Niemand, wirklich niemand, brach eine Lanze für das Bargeld, etwa in dem Sinne, dass sie versprochen oder dafür geworben hätten, dass die EZB und die Gesetzgeber aktiv etwas tun, um die Erosion der Bargeldakzeptanz und -nutzung aufzuhalten oder wenigstens nicht weiter zu beschleunigen.

Das hätte man in Anbetracht der geäußerten Sorgen über die Folgen des Bargeld-Niedergangs schon erwarten können. Immerhin scheuen sich Gesetzgeber, etwa in Belgien und Italien, aber zum Teil auch in Deutschland, nicht, den privaten Unternehmen und Geschäften unter Strafandrohung vorzuschreiben, dass sie privates Bankengeld (Karten) annahmen müssen. Per Gesetz wird dadurch digitales Bankengeld entgegen dem Wortlaut und Geist des EU-Vertrags zum gleichberechtigten, ja sogar vorrangigen gesetzlichen Zahlungsmittel gemacht. Denn zugunsten des eigentlichen gesetzlichen Zahlungsmittels, dem Bargeld, gibt es solche Gesetze nicht.

Die EZB hat keine Bedenken gegenüber solchen Gesetzen geäußert. Eine Annahmepflicht für Bargeld oder auch nur ein Appell an die Regierungen, wenigstens den öffentlichen Stellen die Annahme von Bargeld vorzuschreiben, wurde auf der Konferenz nicht ins Gespräch gebracht, um das Ankerproblem zu lösen oder wenigstens weit in die Zukunft aufzuschieben.

Stattdessen will die EZB sogar wissentlich, und entgegen ihren öffentlichen Bekundungen, mit ihrem digitalen Zentralbankgeld den Niedergang des Bargelds beschleunigen.

Lagarde sagte (9:50 Uhr), der digitale Euro müsse unbedingt den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels erhalten, so wie Bargeld. Sie deutete sogar an, dass dieser Status in Sachen Annahmepflicht für Private weiter gehen wird als der für Bargeld, denn sie sagte, das Prinzip der Vertragsfreiheit müsse dahinter zurückstehen.

Beim Bargeld gibt es nach der Rechtsmeinung der EZB und der Kommission, und nach der Rechtsprechung wegen der Vertragsfreiheit keine Annahmepflicht für Private, nicht einmal für die öffentliche Hand gibt es sie, wie ich in meinem eigenen Verfahren beim Europäischen Gerichtshof feststellen musste. Aber für den digitalen Euro soll es sie geben.

Lagarde fuhr fort mit:

„Ein positiver Nebeneffekt eines Status als gesetzliches Zahlungsmittel wäre, dass das Netzwerkeffekte begünstigen würde, indem es den Bürgern erlauben würde, überall mit dem digitalen Euro zu bezahlen. Der digitale Euro kann nur als monetärer Anker fungieren, wenn er ein komfortables Transaktionsmedium wird, das Teil des täglichen Lebens der Eurpäer ist. Er sollte in einem breiten Spektrum von Marktsegmenten nutzbar sein, um ausreichende Netzwerkeffekte zu erzielen. Das sollte digtiales Bezahlen in physischen Ladengeschäften beinhalten, dem größten Segment, aber auch Online-Handel und Zahlungen von Bürger zu Bürger.“

Man beachte: die positiven Netzwerkeffekte des digitalen Euro – also seine Nützlichkeit weil er in vielen Zusammenhängen von vielen genutzt und akzeptiert wird – geht direkt zu Lasten des Bargelds. Denn, wie man in den Begründungen der Zentralbanker für die Notwendigkeit eines digitalen Zentralbankgeldes immer wieder lesen kann: es besteht die akute Gefahr, dass die Nutzung des Bargelds so weit zurückgeht, dass eben dessen Netzwerkeffekte verlorengehen. Weil immer weniger Menschen und Verkäufer es noch nutzen und akzeptieren, wird es immer weniger attraktiv und deshalb immer weniger genutzt und akzeptiert. Wie man in den nordischen Ländern und den Niederlanden sehen kann, gibt es Kipppunkte, nach deren Unterschreiten sich der Niedergang des Bargelds stark beschleunigen kann.

Indem die EZB und die EU-Kommission vorhaben, dem Euro-Bargeld auf seinen wichtigsten Anwendungsfeldern, physischen Ladengeschäften und Zahlungen von Bürger zu Bürger, Konkurrenz mit einem digitalen Euro zu machen, den man für diese Anwendungsgebiete eigentlich nicht braucht, beschleunigen sie bewusst das Erreichen dieses Kipppunktes für die Netzwerkeffekte des Bargelds und damit den Niedergang des Bargelds. Aber das wird die EZB natürlich nie zugeben, denn, wie Gilles Grapinet, ein Vertreter der Finanzbranche so schön sagte (11:02:30 Uhr):

„Niemand hier wird je sagen, dass wir dem Bargeld an den Kragen gehen (that we terminate cash).“

EZB schreibt Euro-Bargeld ab

Das zuständige EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta sagte (11:12:45 Uhr), es gebe derzeit im Euroraum kein Zahlungsmittel, das im ganzen Euroraum nutzbar sei. Denn auch mit Bargeld könne man zum Beispiel in manchen Teilen Nordeuropas in vielen Geschäften nicht bezahlen. Dieses Problem des fehlenden universellen Zahlungsmittels werde man mit dem digitalen Euro lösen.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, um die Bedeutung zu erfassen. Die EZB will durchsetzen, dass der digitale Euro von jedem Geschäft und jeder sonstigen Institution im Euroraum angenommen werden muss. Aber sie nimmt es einfach hin, ja befördert es sogar in vielerlei Hinsicht, dass man mit dem derzeitigen einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel, das von ihr selbst herausgegeben wird, in vielen Geschäften und sogar Behörden im Euroraum nicht bezahlen kann. Und dann stellt sie uns das als Problem dar, das sie mit dem digitalen Euro lösen müsse.

Wer sich nicht spätestens an dieser Stelle auf den Arm genommen fühlt, ist mit einem großem Maß an Vertrauen in Autoritäten gesegnet.

Privatsphäre ist sehr wichtig (aber nicht zu retten)

Wie wird es dann mit unserer finanziellen Privatsphäre bestellt sein, wenn es nur noch digitale Euros von der Zentralbank und digitales Bankengeld gibt?

Bundesfinanzminister Christian Linder (FDP), über dessen Tweet und einen Leserhinweis ich mangels Medienberichten überhaupt erst auf diese Veranstaltung aufmerksam wurde, schrieb in Reaktion auf unzählige kritische Kommentare zu seinem ersten positiven Tweet zum digitalen Euro:

Es ist keine Rede davon, das Bargeld abzuschaffen. Im Gegenteil, wir arbeiten daran, dass der geplante digitale Euro in Sachen Privatheit dieselben Eigenschaften hat wie der gedruckte und geprägte Euro. CL“

Lindner war dabei auf der Konferenz und hat auf einem Podium mit Panetta diskutiert. Dabei sagte er brav, dass Privatsphäre wichtig sei und warf auch ein, dass er die von Panetta genannte Obergrenze von 50 Euro für anonyme Zahlungen mit dem digitalen Euro für etwas niedrig hielt. Doch Lagarde und Panetta und alle anderen Amtsträger auf der Konferenz gaben zwar das obligatorische Lippenbekenntnis für die Privatsphäre ab, ließen aber gleichzeitig keinen Zweifel aufkommen, dass für sie die Nachverfolgbarkeit von (fast) allen Zahlungen das deutlich wichtigere Ziel ist.

Es gibt also nicht die Spur einer Chance, dass ein digitales Zentralbankgeld, das von EU-Kommission und EZB konzipiert wird, auch nur annähernd so viel Privatheit bietet wie Bargeld. Eine ernsthafte Diskussion darüber gab es nicht, weder mit Lindner noch mit sonst jemand, nur Lippenbekenntnisse, Floskeln und freundliches Geplänkel.

Bei Lagarde klang das so:

„Der digitale Euro muss die Erwartungen der Menschen in Sachen Privatsphäre erfüllen. Wir streben danach, hohe Standards zu erfüllen, aber volle Anonymität wie sie Bargeld bietet, ist keine gangbare Option. Es würde anderen Politikzielen zuwiderlaufen, wie der Vereinbarkeit mit Anti-Geldwäscheregeln und dem Kampf gegen Terrorfinanzierung. Und es würde es unmöglich machen, die Nutzung des digitalen Euro als Investition (Wertaufbewahrungsmittel; N.H.) zu begrenzen, zum Beispiel über Guthaben-Obergrenzen. Wir sollten mindestens ein Niveau des Schutzes der Privatsphäre anbieten wie bei heutigen privaten Lösungen.“

Das also ist das bescheidene Versprechen: Das gleiche Schutzniveau wie bei derzeitigen digitalen Bezahllösungen, bei denen eine ganze Reihe von Mittelsmännern die Daten bekommt und das Bankkonto ein auf Jahrzehnte hin gespeichertes Logbuch unseres Lebens darstellt, in das alle möglichen Behörden sehr leicht Einblick bekommen. Dazu sagte Panetta (10:35 Uhr):

„Kreditinstitute bekommen sehr detaillierte Informationen über die Kreditkartendaten. Ich könnte daraus Ihre politischen Neigungen und andere sehr persönliche Charakteristika ableiten.“

Genau deswegen hängen so viele Menschen so sehr am Bargeld.

Mir ist aus der Konferenz nicht klar geworden, wer das digitale Zentralbankgeld, so wie es derzeit geplant ist, also zum Beispiel mit einer Guthabenobergrenze von 3000 Euro, brauchen und nutzen soll. Auch die Frage aus dem Publikum, warum man auf ein programmierbares Zentralbankgeld warten sollte, wo man das doch schneller auch auf die mit großem Aufwand eingeführten Sofortüberweisungen von Bankengeld aufsetzen könnte, wurde nicht beantwortet.

Es wird wohl tatsächlich die von Lagarde zuerst genannte Motivation sein, die im Vordergrund steht: einen überwachungsfreundlicheren Ersatz für das von Notenbanken und Politik ungeliebte Bargeld zu schaffen.

Radiohinweis

Am Montag 14.11. um 20 Uhr läuft auf Kontrafunk in der Reihe Kontrovers eine Diskussion zwischen Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, und mir zum digitalen Euro.

Mehr

Die EZB fabuliert Ergebnisse ihrer Bürgerbefragung zum digitalen Euro herbei

18. 07. 2021 | Was tut man, wenn die Pläne fertig sind, aber man noch die Bürger befragen muss? Man stellt die Fragen so, dass Widerspruch kaum möglich ist, und wo nötig biegt man sich die Antworten so zurecht, dass sie zu den vorgefassten Plänen passen. Genau so ist die Europäische Zentralbank (EZB) in Sachen digitaler Euro vorgegangen.

Was Sie alles über den digitalen Euro wissen sollten, um sich davor zu fürchten

10. 11. 2020 | Hören | Kaum ein Dokument ist mir so oft zugeschickt worden, wie die jüngsten Überlegungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu einem digitalen Euro. Es besteht offenkundig großer Bedarf an Einschätzungen, ob ein digitaler Euro etwas Gutes oder etwas Schlechtes wäre. Unter anderem Vertreter der Monetative und der Linken drängen die EZB dazu. Das halte ich für einen schweren Fehler.

EZB-Chefin Lagarde legt offen, wie sie mit dem digitalen Euro das Bargeld verdrängen will

11.11.2022 – Norbert Häring

11. 11. 2022 | Die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde und EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta haben auf einer Veranstaltung in Brüssel für Fachleute so deutlich wie bisher nie offengelegt, dass und wie der geplante digitale Euro die Verdrängung des Bargelds beschleunigen wird.

Die von der Europäischen Zentralbank (EZB) und EU-Kommission am 7. November gemeinsam abgehaltene Konferenz hieß „Digital Euro Conference: Towards al legislative framework for a digital euro“. Alle sprachen zwar viel von der Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte. Medienberichte über die Veranstaltung habe ich aber nicht gesehen und es war – abgesehen von den Moderatoren – auch keine Beteiligung von Pressevertretern erkennbar.

Die Konferenz ist auf Video öffentlich zugänglich. Im folgenden beziehen sich die angegebenen Zeiten auf die im Video angegebene Uhrzeit und korrespondieren mit dem Programm der Konferenz.

Netzwerkeffekte zulasten des Bargelds

Christine Lagarde erklärte (ab 9:41 Uhr) die Pläne der EZB, einen digitalen Euro zu entwickeln, vor allem damit, dass die Menschen immer weniger mit Bargeld bezahlten. Dadurch könnte das Bargeld als öffentliches Geld seine Ankerfunktion für das „hybride System“ aus von der EZB herausgegebenem öffentlichen Geld und dem privaten Geld der Geschäftsbanken verlieren.

Das zog sich durch die ganze Konferenz: der digitale Euro als Vorbereitung auf die Zeit, wenn Bargeld keine nennenswerte Rolle mehr spielt. Niemand, wirklich niemand, brach eine Lanze für das Bargeld, etwa in dem Sinne, dass sie versprochen oder dafür geworben hätten, dass die EZB und die Gesetzgeber aktiv etwas tun, um die Erosion der Bargeldakzeptanz und -nutzung aufzuhalten oder wenigstens nicht weiter zu beschleunigen.

Das hätte man in Anbetracht der geäußerten Sorgen über die Folgen des Bargeld-Niedergangs schon erwarten können. Immerhin scheuen sich Gesetzgeber, etwa in Belgien und Italien, aber zum Teil auch in Deutschland, nicht, den privaten Unternehmen und Geschäften unter Strafandrohung vorzuschreiben, dass sie privates Bankengeld (Karten) annahmen müssen. Per Gesetz wird dadurch digitales Bankengeld entgegen dem Wortlaut und Geist des EU-Vertrags zum gleichberechtigten, ja sogar vorrangigen gesetzlichen Zahlungsmittel gemacht. Denn zugunsten des eigentlichen gesetzlichen Zahlungsmittels, dem Bargeld, gibt es solche Gesetze nicht.

Die EZB hat keine Bedenken gegenüber solchen Gesetzen geäußert. Eine Annahmepflicht für Bargeld oder auch nur ein Appell an die Regierungen, wenigstens den öffentlichen Stellen die Annahme von Bargeld vorzuschreiben, wurde auf der Konferenz nicht ins Gespräch gebracht, um das Ankerproblem zu lösen oder wenigstens weit in die Zukunft aufzuschieben.

Stattdessen will die EZB sogar wissentlich, und entgegen ihren öffentlichen Bekundungen, mit ihrem digitalen Zentralbankgeld den Niedergang des Bargelds beschleunigen.

Lagarde sagte (9:50 Uhr), der digitale Euro müsse unbedingt den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels erhalten, so wie Bargeld. Sie deutete sogar an, dass dieser Status in Sachen Annahmepflicht für Private weiter gehen wird als der für Bargeld, denn sie sagte, das Prinzip der Vertragsfreiheit müsse dahinter zurückstehen.

Beim Bargeld gibt es nach der Rechtsmeinung der EZB und der Kommission, und nach der Rechtsprechung wegen der Vertragsfreiheit keine Annahmepflicht für Private, nicht einmal für die öffentliche Hand gibt es sie, wie ich in meinem eigenen Verfahren beim Europäischen Gerichtshof feststellen musste. Aber für den digitalen Euro soll es sie geben.

Lagarde fuhr fort mit:

„Ein positiver Nebeneffekt eines Status als gesetzliches Zahlungsmittel wäre, dass das Netzwerkeffekte begünstigen würde, indem es den Bürgern erlauben würde, überall mit dem digitalen Euro zu bezahlen. Der digitale Euro kann nur als monetärer Anker fungieren, wenn er ein komfortables Transaktionsmedium wird, das Teil des täglichen Lebens der Eurpäer ist. Er sollte in einem breiten Spektrum von Marktsegmenten nutzbar sein, um ausreichende Netzwerkeffekte zu erzielen. Das sollte digtiales Bezahlen in physischen Ladengeschäften beinhalten, dem größten Segment, aber auch Online-Handel und Zahlungen von Bürger zu Bürger.“

Man beachte: die positiven Netzwerkeffekte des digitalen Euro – also seine Nützlichkeit weil er in vielen Zusammenhängen von vielen genutzt und akzeptiert wird – geht direkt zu Lasten des Bargelds. Denn, wie man in den Begründungen der Zentralbanker für die Notwendigkeit eines digitalen Zentralbankgeldes immer wieder lesen kann: es besteht die akute Gefahr, dass die Nutzung des Bargelds so weit zurückgeht, dass eben dessen Netzwerkeffekte verlorengehen. Weil immer weniger Menschen und Verkäufer es noch nutzen und akzeptieren, wird es immer weniger attraktiv und deshalb immer weniger genutzt und akzeptiert. Wie man in den nordischen Ländern und den Niederlanden sehen kann, gibt es Kipppunkte, nach deren Unterschreiten sich der Niedergang des Bargelds stark beschleunigen kann.

Indem die EZB und die EU-Kommission vorhaben, dem Euro-Bargeld auf seinen wichtigsten Anwendungsfeldern, physischen Ladengeschäften und Zahlungen von Bürger zu Bürger, Konkurrenz mit einem digitalen Euro zu machen, den man für diese Anwendungsgebiete eigentlich nicht braucht, beschleunigen sie bewusst das Erreichen dieses Kipppunktes für die Netzwerkeffekte des Bargelds und damit den Niedergang des Bargelds. Aber das wird die EZB natürlich nie zugeben, denn, wie Gilles Grapinet, ein Vertreter der Finanzbranche so schön sagte (11:02:30 Uhr):

„Niemand hier wird je sagen, dass wir dem Bargeld an den Kragen gehen (that we terminate cash).“

EZB schreibt Euro-Bargeld ab

Das zuständige EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta sagte (11:12:45 Uhr), es gebe derzeit im Euroraum kein Zahlungsmittel, das im ganzen Euroraum nutzbar sei. Denn auch mit Bargeld könne man zum Beispiel in manchen Teilen Nordeuropas in vielen Geschäften nicht bezahlen. Dieses Problem des fehlenden universellen Zahlungsmittels werde man mit dem digitalen Euro lösen.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, um die Bedeutung zu erfassen. Die EZB will durchsetzen, dass der digitale Euro von jedem Geschäft und jeder sonstigen Institution im Euroraum angenommen werden muss. Aber sie nimmt es einfach hin, ja befördert es sogar in vielerlei Hinsicht, dass man mit dem derzeitigen einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel, das von ihr selbst herausgegeben wird, in vielen Geschäften und sogar Behörden im Euroraum nicht bezahlen kann. Und dann stellt sie uns das als Problem dar, das sie mit dem digitalen Euro lösen müsse.

Wer sich nicht spätestens an dieser Stelle auf den Arm genommen fühlt, ist mit einem großem Maß an Vertrauen in Autoritäten gesegnet.

Privatsphäre ist sehr wichtig (aber nicht zu retten)

Wie wird es dann mit unserer finanziellen Privatsphäre bestellt sein, wenn es nur noch digitale Euros von der Zentralbank und digitales Bankengeld gibt?

Bundesfinanzminister Christian Linder (FDP), über dessen Tweet und einen Leserhinweis ich mangels Medienberichten überhaupt erst auf diese Veranstaltung aufmerksam wurde, schrieb in Reaktion auf unzählige kritische Kommentare zu seinem ersten positiven Tweet zum digitalen Euro:

Es ist keine Rede davon, das Bargeld abzuschaffen. Im Gegenteil, wir arbeiten daran, dass der geplante digitale Euro in Sachen Privatheit dieselben Eigenschaften hat wie der gedruckte und geprägte Euro. CL“

Lindner war dabei auf der Konferenz und hat auf einem Podium mit Panetta diskutiert. Dabei sagte er brav, dass Privatsphäre wichtig sei und warf auch ein, dass er die von Panetta genannte Obergrenze von 50 Euro für anonyme Zahlungen mit dem digitalen Euro für etwas niedrig hielt. Doch Lagarde und Panetta und alle anderen Amtsträger auf der Konferenz gaben zwar das obligatorische Lippenbekenntnis für die Privatsphäre ab, ließen aber gleichzeitig keinen Zweifel aufkommen, dass für sie die Nachverfolgbarkeit von (fast) allen Zahlungen das deutlich wichtigere Ziel ist.

Es gibt also nicht die Spur einer Chance, dass ein digitales Zentralbankgeld, das von EU-Kommission und EZB konzipiert wird, auch nur annähernd so viel Privatheit bietet wie Bargeld. Eine ernsthafte Diskussion darüber gab es nicht, weder mit Lindner noch mit sonst jemand, nur Lippenbekenntnisse, Floskeln und freundliches Geplänkel.

Bei Lagarde klang das so:

„Der digitale Euro muss die Erwartungen der Menschen in Sachen Privatsphäre erfüllen. Wir streben danach, hohe Standards zu erfüllen, aber volle Anonymität wie sie Bargeld bietet, ist keine gangbare Option. Es würde anderen Politikzielen zuwiderlaufen, wie der Vereinbarkeit mit Anti-Geldwäscheregeln und dem Kampf gegen Terrorfinanzierung. Und es würde es unmöglich machen, die Nutzung des digitalen Euro als Investition (Wertaufbewahrungsmittel; N.H.) zu begrenzen, zum Beispiel über Guthaben-Obergrenzen. Wir sollten mindestens ein Niveau des Schutzes der Privatsphäre anbieten wie bei heutigen privaten Lösungen.“

Das also ist das bescheidene Versprechen: Das gleiche Schutzniveau wie bei derzeitigen digitalen Bezahllösungen, bei denen eine ganze Reihe von Mittelsmännern die Daten bekommt und das Bankkonto ein auf Jahrzehnte hin gespeichertes Logbuch unseres Lebens darstellt, in das alle möglichen Behörden sehr leicht Einblick bekommen. Dazu sagte Panetta (10:35 Uhr):

„Kreditinstitute bekommen sehr detaillierte Informationen über die Kreditkartendaten. Ich könnte daraus Ihre politischen Neigungen und andere sehr persönliche Charakteristika ableiten.“

Genau deswegen hängen so viele Menschen so sehr am Bargeld.

Mir ist aus der Konferenz nicht klar geworden, wer das digitale Zentralbankgeld, so wie es derzeit geplant ist, also zum Beispiel mit einer Guthabenobergrenze von 3000 Euro, brauchen und nutzen soll. Auch die Frage aus dem Publikum, warum man auf ein programmierbares Zentralbankgeld warten sollte, wo man das doch schneller auch auf die mit großem Aufwand eingeführten Sofortüberweisungen von Bankengeld aufsetzen könnte, wurde nicht beantwortet.

Es wird wohl tatsächlich die von Lagarde zuerst genannte Motivation sein, die im Vordergrund steht: einen überwachungsfreundlicheren Ersatz für das von Notenbanken und Politik ungeliebte Bargeld zu schaffen.

Radiohinweis

Am Montag 14.11. um 20 Uhr läuft auf Kontrafunk in der Reihe Kontrovers eine Diskussion zwischen Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, und mir zum digitalen Euro.

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Die EZB fabuliert Ergebnisse ihrer Bürgerbefragung zum digitalen Euro herbei

18. 07. 2021 | Was tut man, wenn die Pläne fertig sind, aber man noch die Bürger befragen muss? Man stellt die Fragen so, dass Widerspruch kaum möglich ist, und wo nötig biegt man sich die Antworten so zurecht, dass sie zu den vorgefassten Plänen passen. Genau so ist die Europäische Zentralbank (EZB) in Sachen digitaler Euro vorgegangen.

Was Sie alles über den digitalen Euro wissen sollten, um sich davor zu fürchten

10. 11. 2020 | Hören | Kaum ein Dokument ist mir so oft zugeschickt worden, wie die jüngsten Überlegungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu einem digitalen Euro. Es besteht offenkundig großer Bedarf an Einschätzungen, ob ein digitaler Euro etwas Gutes oder etwas Schlechtes wäre. Unter anderem Vertreter der Monetative und der Linken drängen die EZB dazu. Das halte ich für einen schweren Fehler.

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