Finanzielle Inklusion durch Big Data und Bargeldbeseitigung wissenschaftlich als Schimäre enttarnt

Finanzielle Inklusion durch Big Data und Bargeldbeseitigung wissenschaftlich als Schimäre enttarnt

01.06.2022 – Norbert Häring

2. 06. 2022 | Diejenigen, die die Bargeldabschaffung und die Überwachung und Einteilung der Menschen mit künstlicher Intelligenz vorantreiben, geben sich gern als Helfer der vom formellen Finanzsektor bisher Ausgeschlossenen. Sie reden von finanzieller Inklusion. Eine wissenschaftliche Studie zeigt nun, dass den wenigen Benachteiligten, denen durch die beworbenen Methoden geholfen wird, viele gegenüberstehen, deren Lage sich weiter verschlechtert.

Im Jahr 2020 hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, eine Art Spitzeninstitut der Zentralbanken, eine Studie veröffentlicht, in der sie die indische Regierungsdatenbank Aadhar über den grünen Klee gelobt hat. Dieser Horror aller Datenschützer hat über einer Milliarde Menschen eine biometrisch unterlegte Bürgernummer verpasst, die sie für ihre Interaktionen mit dem Staat und vielen privaten Unternehmen nennen müssen. Das Überwachungspotential ist enorm. Die Rechtfertigung: finanzielle Inklusion und (zwangsweise) Eingliederung in den formellen Sektor der Wirtschaft.

Im Januar 2022 hat die BIZ mit einer weiteren Studie nachgelegt, die man als Bewerbung des chinesischen Sozialkreditmodells mit dem Argument der finanziellen Inklusion interpretieren kann.

Das Versprechen der finanzielle Inklusion …

Mit Beispielen aus China und Hongkong beschrieb die BIZ als vorbildlich, wie neue Marktteilnehmer am Kreditmarkt in Asien die Daten von Social-Media-Plattformen nutzen und „fortschrittliche Datenanalysen“ darauf anwenden. Der große Vorteil sei die finanzielle Inklusion, die darin besteht, dass (meistens ärmere) Menschen und kleine Unternehmen Kredit erhalten, die ihn vorher nicht so leicht bekamen.

Hauptgrund für die bisherige Kreditzurückhaltung ist, dass diese Gruppen wenige oder keine Sicherheiten bieten können. Die fehlenden Sicherheiten könnten dadurch ersetzt werden, dass die potentiellen Kreditgeber möglichst viel Informationen über die potentiellen Kreditkunden bekommen – indem letztere also möglichst gläsern werden.

Das Argument wirkt vordergründig überzeugend. Aber nur, wenn man nicht weiter denkt. Kreditwürdigkeit ist vor allem relativ. Klar: wenn man das Kreditrisiko durch bessere Daten weitgehend verschwinden lassen könnte, dann könnten die Banken auch profitabel viel mehr Kredit geben. Theoretisch könnten dann alle mehr Kredit erhalten, auch die bisher wegen zu hohen Risikos Ausgeschlossenen. Aber eben nur theoretisch.

… und die bittere Realität

Denn die Zentralbank, oder wer auch immer für die Steuerung der Geldmenge zuständig ist, kann es nicht zulassen, dass die Banken beliebig mehr Geld in Umlauf bringen. Die umlaufende Geldmenge entsteht nämlich im Wesentlichen durch Kreditvergabe der Banken. Die Zentralbank steuert daher aus gesamtwirtschaftlicher Sicht die Kreditvergabe. Wird zu viel Kredit vergeben, macht die Zentralbank den Banken durch eine Leitzinserhöhung die Refinanzierung teurer.

Über die Kreditwürdigkeitsprüfung steuern die Banken also letztlich nicht, wie viel Kredit sie geben, sondern wer wie viel vom gesamten Kreditvolumen abbekommt, das die Zentralbank zulässt, und wer leer ausgeht.

Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage: wenn manche bisher Benachteiligte sich besser stellen, indem sie gläsern gemacht werden und so ihr Kreditrisiko sinkt, wer wird dann schlechter gestellt?

Diese Frage haben vor kurzem Andreas Fuster vom Swiss Finance Institut, Paul Goldsmith-Pinkham von der Yale School of Management und Tarun Ramadorai vom Imperial College London in der sehr renommierten Fachzeitschrift Journal of Finance beantwortet. Für den Aufsatz „Predictably Unequal? The Effects of Machine Learning on Credit Markets“ untersuchten sie die Frage modelltheoretisch, mit einer Simulation und mit realen Daten.

Ihr Ergebnis, das nicht mehr wirklich überraschend ist, wenn man sich einmal die Mühe gemacht hat, die Frage nach den Verlierern ausdrücklich zu stellen, lautet: Die Hauptgewinner sind diejenigen, die schon bisher relativ leicht und günstig an Kredit kommen. Für sie sinken die Kreditzinsen besonders stark.

Gewinner sind daneben noch relativ wenige bisher nicht mit Krediten bediente, die nun, zu relativ hohen Zinsen, aber immerhin, Kredite aus dem formalen Sektor bekommen. Sie sind also nicht mehr allein auf noch viel teurere informelle Geldverleiher und Kredithaie angewiesen. Das ist die Gruppe, auf die die Verfechter der Bargeldabschaffung und des Datenstriptease allein das Augenmerk richten.

Diesen beiden begünstigten Gruppen stehen diejenigen gegenüber, für die sich aufgrund der besseren Datenlage über das, was sie tun und haben, die Kreditwürdigkeit verschlechtert. Das sind überwiegend Menschen, die bisher schon relativ hohe Zinsen zahlen mussten und relativ schlecht an Kredite kamen, weil sie als wenig kreditwürdig galten. Wenn nun manche aus diesem Segment aufgrund besserer Daten als doch recht kreditwürdig eingestuft werden und deshalb aus dem wenig kreditwürdigen Segment herausgenommen werden, dann verschlechtert sich dadurch die durchschnittliche Kreditwürdigkeit der im Segment verbleibenden.

Den wenigen Kleinunternehmern und privaten Kreditnehmern, bei denen die finanzielle Inklusion gelingt, stehen also viele Kleinunternehmer und arme Haushalte gegenüber, für die sich die Kreditverfügbarkeit und der Preis noch verschlechtern.

Das ist kein taugliches Argument für Bargeldbeseitigung, Totalüberwachung oder gar die Einführung eines Sozialkreditsystems.

Mehr

Wie eine gekaufte UN-Organisation mit Visa und Mastercard an der Abschaffung des Bargelds arbeitet: Teil 2: Finanzielle Inklusion als Vorwand

„Finanzielle Inklusion“, Code für Bargeldabschaffung in Entwicklungsländern, und was davon zu halten ist

Wie die Bundesregierung mit Visa, Mastercard und Gates an der Bargeldbeseitigung arbeitet und dies zu verbergen suchte

New York entlarvt die Lüge von der bargeldlosen „finanziellen Inklusion“

 

 

Finanzielle Inklusion durch Big Data und Bargeldbeseitigung wissenschaftlich als Schimäre enttarnt

01.06.2022 – Norbert Häring

2. 06. 2022 | Diejenigen, die die Bargeldabschaffung und die Überwachung und Einteilung der Menschen mit künstlicher Intelligenz vorantreiben, geben sich gern als Helfer der vom formellen Finanzsektor bisher Ausgeschlossenen. Sie reden von finanzieller Inklusion. Eine wissenschaftliche Studie zeigt nun, dass den wenigen Benachteiligten, denen durch die beworbenen Methoden geholfen wird, viele gegenüberstehen, deren Lage sich weiter verschlechtert.

Im Jahr 2020 hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, eine Art Spitzeninstitut der Zentralbanken, eine Studie veröffentlicht, in der sie die indische Regierungsdatenbank Aadhar über den grünen Klee gelobt hat. Dieser Horror aller Datenschützer hat über einer Milliarde Menschen eine biometrisch unterlegte Bürgernummer verpasst, die sie für ihre Interaktionen mit dem Staat und vielen privaten Unternehmen nennen müssen. Das Überwachungspotential ist enorm. Die Rechtfertigung: finanzielle Inklusion und (zwangsweise) Eingliederung in den formellen Sektor der Wirtschaft.

Im Januar 2022 hat die BIZ mit einer weiteren Studie nachgelegt, die man als Bewerbung des chinesischen Sozialkreditmodells mit dem Argument der finanziellen Inklusion interpretieren kann.

Das Versprechen der finanzielle Inklusion …

Mit Beispielen aus China und Hongkong beschrieb die BIZ als vorbildlich, wie neue Marktteilnehmer am Kreditmarkt in Asien die Daten von Social-Media-Plattformen nutzen und „fortschrittliche Datenanalysen“ darauf anwenden. Der große Vorteil sei die finanzielle Inklusion, die darin besteht, dass (meistens ärmere) Menschen und kleine Unternehmen Kredit erhalten, die ihn vorher nicht so leicht bekamen.

Hauptgrund für die bisherige Kreditzurückhaltung ist, dass diese Gruppen wenige oder keine Sicherheiten bieten können. Die fehlenden Sicherheiten könnten dadurch ersetzt werden, dass die potentiellen Kreditgeber möglichst viel Informationen über die potentiellen Kreditkunden bekommen – indem letztere also möglichst gläsern werden.

Das Argument wirkt vordergründig überzeugend. Aber nur, wenn man nicht weiter denkt. Kreditwürdigkeit ist vor allem relativ. Klar: wenn man das Kreditrisiko durch bessere Daten weitgehend verschwinden lassen könnte, dann könnten die Banken auch profitabel viel mehr Kredit geben. Theoretisch könnten dann alle mehr Kredit erhalten, auch die bisher wegen zu hohen Risikos Ausgeschlossenen. Aber eben nur theoretisch.

… und die bittere Realität

Denn die Zentralbank, oder wer auch immer für die Steuerung der Geldmenge zuständig ist, kann es nicht zulassen, dass die Banken beliebig mehr Geld in Umlauf bringen. Die umlaufende Geldmenge entsteht nämlich im Wesentlichen durch Kreditvergabe der Banken. Die Zentralbank steuert daher aus gesamtwirtschaftlicher Sicht die Kreditvergabe. Wird zu viel Kredit vergeben, macht die Zentralbank den Banken durch eine Leitzinserhöhung die Refinanzierung teurer.

Über die Kreditwürdigkeitsprüfung steuern die Banken also letztlich nicht, wie viel Kredit sie geben, sondern wer wie viel vom gesamten Kreditvolumen abbekommt, das die Zentralbank zulässt, und wer leer ausgeht.

Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage: wenn manche bisher Benachteiligte sich besser stellen, indem sie gläsern gemacht werden und so ihr Kreditrisiko sinkt, wer wird dann schlechter gestellt?

Diese Frage haben vor kurzem Andreas Fuster vom Swiss Finance Institut, Paul Goldsmith-Pinkham von der Yale School of Management und Tarun Ramadorai vom Imperial College London in der sehr renommierten Fachzeitschrift Journal of Finance beantwortet. Für den Aufsatz „Predictably Unequal? The Effects of Machine Learning on Credit Markets“ untersuchten sie die Frage modelltheoretisch, mit einer Simulation und mit realen Daten.

Ihr Ergebnis, das nicht mehr wirklich überraschend ist, wenn man sich einmal die Mühe gemacht hat, die Frage nach den Verlierern ausdrücklich zu stellen, lautet: Die Hauptgewinner sind diejenigen, die schon bisher relativ leicht und günstig an Kredit kommen. Für sie sinken die Kreditzinsen besonders stark.

Gewinner sind daneben noch relativ wenige bisher nicht mit Krediten bediente, die nun, zu relativ hohen Zinsen, aber immerhin, Kredite aus dem formalen Sektor bekommen. Sie sind also nicht mehr allein auf noch viel teurere informelle Geldverleiher und Kredithaie angewiesen. Das ist die Gruppe, auf die die Verfechter der Bargeldabschaffung und des Datenstriptease allein das Augenmerk richten.

Diesen beiden begünstigten Gruppen stehen diejenigen gegenüber, für die sich aufgrund der besseren Datenlage über das, was sie tun und haben, die Kreditwürdigkeit verschlechtert. Das sind überwiegend Menschen, die bisher schon relativ hohe Zinsen zahlen mussten und relativ schlecht an Kredite kamen, weil sie als wenig kreditwürdig galten. Wenn nun manche aus diesem Segment aufgrund besserer Daten als doch recht kreditwürdig eingestuft werden und deshalb aus dem wenig kreditwürdigen Segment herausgenommen werden, dann verschlechtert sich dadurch die durchschnittliche Kreditwürdigkeit der im Segment verbleibenden.

Den wenigen Kleinunternehmern und privaten Kreditnehmern, bei denen die finanzielle Inklusion gelingt, stehen also viele Kleinunternehmer und arme Haushalte gegenüber, für die sich die Kreditverfügbarkeit und der Preis noch verschlechtern.

Das ist kein taugliches Argument für Bargeldbeseitigung, Totalüberwachung oder gar die Einführung eines Sozialkreditsystems.

Mehr

Wie eine gekaufte UN-Organisation mit Visa und Mastercard an der Abschaffung des Bargelds arbeitet: Teil 2: Finanzielle Inklusion als Vorwand

„Finanzielle Inklusion“, Code für Bargeldabschaffung in Entwicklungsländern, und was davon zu halten ist

Wie die Bundesregierung mit Visa, Mastercard und Gates an der Bargeldbeseitigung arbeitet und dies zu verbergen suchte

New York entlarvt die Lüge von der bargeldlosen „finanziellen Inklusion“

 

 

Verwandte Beiträge