Die Hexenstunde

  • 26. Januar 2023  – 
  • Rubikon

Die Hexenstunde

26.01.2023 – Rubikon

Die Hexenstunde

Ein Songtext von Alexa Rodrian feiert das widerständige Potenzial von Weiblichkeit — die Männerwelt wird zu gegenseitiger kreativer Ergänzung aufgefordert.

Mit 12 Jahren schrieb ich mein erstes politisches Gedicht. Ich war von meiner Mutter gefüttert worden mit Lyrik von Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Boris Vian, Erich Fried, Sylvia Plath, Mascha Kaléko, Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und vielen anderen. Mein erster Versuch war dementsprechend sicher ein mehr oder minder eklektischer. Leider entsinne ich mich nur noch der letzten Zeilen:

„… und die, die sich nicht anpassen, sind dann gleich die kommunistischen Rassen.“

Sehr wohl aber erinnere ich mich, warum ich diesen Schlussreim schrieb. Ein guter Freund der Familie erhielt als DKP-Mitglied Berufsverbot und wurde vom Verfassungsschutz ständig beobachtet. Diese Tatsache wurde in meiner linken Familie mit Entsetzen kommentiert und degoutiert und als große Bedrohung dieser — damals noch relativ jungen — Demokratie empfunden. Mein auch heute noch widerständisches Gebaren und Schreiben und die Angst vor Freiheitsverlust ist somit wohl tief verwurzelt und scheint mir in meiner Biografie völlig logisch.

Anders bei anderen; denn es gibt anscheinend keine wirkliche Logik in Lebensläufen und dementsprechend auch keine Allgemeingültigkeit, wer wann wie wo was schreibt. Salomea Genin, eine außergewöhnliche Frau und die Autorin des Buches „Ich folgte den falschen Göttern“, die wir euch bald in einem neuem Mutmach-Gespräch vorstellen werden, sagte mir vor ein paar Tagen:

„Es gibt nichts Persönliches, was nicht auch politisch, und nichts Politisches, was nicht auch persönlich ist.“

So verstehe ich die Poesie: als die kurz gefasste, rhythmisierte Darstellung des Innens und des Außens. In diesem Sinne wünsche ich mir für unsere Poesienoten mutige und vorsichtige, zarte und stürmische, wütige und liebende, verbindende und entbindende, politische und persönliche Beiträge.

Mein erster Beitrag ist die „Hexenstunde“. Sie wollte einstmals alles verbinden, was heute so schwierig zu verbinden scheint. So bleibt mir nur zu hoffen, dass Worte eben doch so kraftvoll sind, wie man es ihnen unterstellt.

Mit einem Bonmot von Hans Magnus Enzensberger wünsche ich euch eine schöne und kraftvolle Woche.

„Denn das Dichten ist eine absurde Tätigkeit“

Eure Alexa

Hexenstunde

Hexenstunde das sind wir
teilen wollen wir mit euch was uns bewegt
Hexenstunde wir sind bereit wo auch immer dieser Weg hin geht
wir wollen einstehen für die Menschlichkeit
denn beten hat uns leider viel zu oft entzweit

Hexenstunde hier sind wir
wissen wollen wir’s jetzt ganz genau
warum das oft nicht so gut geht von Frau zu Frau
Hexenstunde kommt doch zu uns in die Runde
denn nur so wird’s uns gelingen Patriarchales zu bezwingen

Hexenstunde heute ist die Kirche unser Platz
viele gute Hirten gibt es hier wir wollen keine Männer Hatz
Wir haben keinen Buckel und kein Hinkebein
wir sind schön mit und ohne Kerzenschein
Hexenstunde kommt herein die Türen werden offen sein

Und deshalb wollen wir singen heut mit euch
Frauen sind wir Frauen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir tanzen heut mit euch
Menschen sind wir Menschen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir unsere Schönheit feiern heut mit euch
Weiber sind wir Weiber wollen wir sein
Lasst uns gehen Seit an Seit mit Stolz und frei von Neid

Hexenstunde kurz vor Zwölf zugegeben unsere Kirche ist noch nicht so voll
Denn nicht jede Frau findet Frauen wirklich toll
Die Wahrheit ist zu viele von uns werten unaufhörlich ab
Es wird gelästert und gelacht und viel zu misogyn gedacht
Hexenstunde kurz vor Zwölf anders soll das sein es ist noch früh in dieser Nacht

Hexenstunde hört uns zu denn dies ist nicht nur Weiberkram
die Männer geht das ganz genauso an denn sie lästern mit uns ohne Scham
Sündenböcke sind gefragt die Schwachen werden ausgegrenzt die Opfer kaum beklagt das Menschsein wird schlechthin vertagt
Hexenstunde ist für alle da kommt herein bei uns wird niemand mehr gejagt

Hexenstunde hier stehen wir Hand in Hand
Unserer Kraft sei Dank sie haben uns noch nicht verbrannt*
Erhaben fühlen wir uns nicht und niemals unfehlbar
Wir stehen hier bescheiden am Altar
Kein Aug um Aug kein Zahn um Zahn
Menschen aller Art werden hier gebraucht und sind gefragt

Und deshalb wollen wir singen heut mit euch
Frauen sind wir Frauen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir tanzen heut mit euch
Menschen sind wir Menschen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir unsere Schönheit feiern heut mit euch
Weiber sind wir Weiber wollen wir sein
Lasst uns gehen Seit an Seit mit Stolz und frei von Neid

*2019

Dem Gott sei Dank denn hier wird heute niemand mehr verbrannt

von Alexa Rodrian

Die Hexenstunde

26.01.2023 – Rubikon

Die Hexenstunde

Ein Songtext von Alexa Rodrian feiert das widerständige Potenzial von Weiblichkeit — die Männerwelt wird zu gegenseitiger kreativer Ergänzung aufgefordert.

Mit 12 Jahren schrieb ich mein erstes politisches Gedicht. Ich war von meiner Mutter gefüttert worden mit Lyrik von Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Boris Vian, Erich Fried, Sylvia Plath, Mascha Kaléko, Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und vielen anderen. Mein erster Versuch war dementsprechend sicher ein mehr oder minder eklektischer. Leider entsinne ich mich nur noch der letzten Zeilen:

„… und die, die sich nicht anpassen, sind dann gleich die kommunistischen Rassen.“

Sehr wohl aber erinnere ich mich, warum ich diesen Schlussreim schrieb. Ein guter Freund der Familie erhielt als DKP-Mitglied Berufsverbot und wurde vom Verfassungsschutz ständig beobachtet. Diese Tatsache wurde in meiner linken Familie mit Entsetzen kommentiert und degoutiert und als große Bedrohung dieser — damals noch relativ jungen — Demokratie empfunden. Mein auch heute noch widerständisches Gebaren und Schreiben und die Angst vor Freiheitsverlust ist somit wohl tief verwurzelt und scheint mir in meiner Biografie völlig logisch.

Anders bei anderen; denn es gibt anscheinend keine wirkliche Logik in Lebensläufen und dementsprechend auch keine Allgemeingültigkeit, wer wann wie wo was schreibt. Salomea Genin, eine außergewöhnliche Frau und die Autorin des Buches „Ich folgte den falschen Göttern“, die wir euch bald in einem neuem Mutmach-Gespräch vorstellen werden, sagte mir vor ein paar Tagen:

„Es gibt nichts Persönliches, was nicht auch politisch, und nichts Politisches, was nicht auch persönlich ist.“

So verstehe ich die Poesie: als die kurz gefasste, rhythmisierte Darstellung des Innens und des Außens. In diesem Sinne wünsche ich mir für unsere Poesienoten mutige und vorsichtige, zarte und stürmische, wütige und liebende, verbindende und entbindende, politische und persönliche Beiträge.

Mein erster Beitrag ist die „Hexenstunde“. Sie wollte einstmals alles verbinden, was heute so schwierig zu verbinden scheint. So bleibt mir nur zu hoffen, dass Worte eben doch so kraftvoll sind, wie man es ihnen unterstellt.

Mit einem Bonmot von Hans Magnus Enzensberger wünsche ich euch eine schöne und kraftvolle Woche.

„Denn das Dichten ist eine absurde Tätigkeit“

Eure Alexa

Hexenstunde

Hexenstunde das sind wir
teilen wollen wir mit euch was uns bewegt
Hexenstunde wir sind bereit wo auch immer dieser Weg hin geht
wir wollen einstehen für die Menschlichkeit
denn beten hat uns leider viel zu oft entzweit

Hexenstunde hier sind wir
wissen wollen wir’s jetzt ganz genau
warum das oft nicht so gut geht von Frau zu Frau
Hexenstunde kommt doch zu uns in die Runde
denn nur so wird’s uns gelingen Patriarchales zu bezwingen

Hexenstunde heute ist die Kirche unser Platz
viele gute Hirten gibt es hier wir wollen keine Männer Hatz
Wir haben keinen Buckel und kein Hinkebein
wir sind schön mit und ohne Kerzenschein
Hexenstunde kommt herein die Türen werden offen sein

Und deshalb wollen wir singen heut mit euch
Frauen sind wir Frauen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir tanzen heut mit euch
Menschen sind wir Menschen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir unsere Schönheit feiern heut mit euch
Weiber sind wir Weiber wollen wir sein
Lasst uns gehen Seit an Seit mit Stolz und frei von Neid

Hexenstunde kurz vor Zwölf zugegeben unsere Kirche ist noch nicht so voll
Denn nicht jede Frau findet Frauen wirklich toll
Die Wahrheit ist zu viele von uns werten unaufhörlich ab
Es wird gelästert und gelacht und viel zu misogyn gedacht
Hexenstunde kurz vor Zwölf anders soll das sein es ist noch früh in dieser Nacht

Hexenstunde hört uns zu denn dies ist nicht nur Weiberkram
die Männer geht das ganz genauso an denn sie lästern mit uns ohne Scham
Sündenböcke sind gefragt die Schwachen werden ausgegrenzt die Opfer kaum beklagt das Menschsein wird schlechthin vertagt
Hexenstunde ist für alle da kommt herein bei uns wird niemand mehr gejagt

Hexenstunde hier stehen wir Hand in Hand
Unserer Kraft sei Dank sie haben uns noch nicht verbrannt*
Erhaben fühlen wir uns nicht und niemals unfehlbar
Wir stehen hier bescheiden am Altar
Kein Aug um Aug kein Zahn um Zahn
Menschen aller Art werden hier gebraucht und sind gefragt

Und deshalb wollen wir singen heut mit euch
Frauen sind wir Frauen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir tanzen heut mit euch
Menschen sind wir Menschen wollen wir sein
Und deshalb wollen wir unsere Schönheit feiern heut mit euch
Weiber sind wir Weiber wollen wir sein
Lasst uns gehen Seit an Seit mit Stolz und frei von Neid

*2019

Dem Gott sei Dank denn hier wird heute niemand mehr verbrannt

von Alexa Rodrian


Verwandte Beiträge